Neue Gastprofessur „Achtsame professionelle Selbstfürsorge“

04.09.2023

Die ASH Berlin setzt mit Berufung von Prof. Dr. Nils Altner erstmals Schwerpunkt auf professionelle Selbstfürsorge bei der Ausbilung von Studierenden in sozialen Berufen.

An Deutschlands größter staatlichen Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung, der Alice Salomon Hochschule in Berlin, unterrichtet Nils Altner seit April den neuen Schwerpunkt „Professionelle Selbstfürsorge“. Wir haben mit dem langjährigen Mitglied des MBSR-MBCT Verbandes gesprochen.

Was kann man sich unter Lehrveranstaltungen zu „Achtsamer professioneller Selbstfürsorge“ vorstellen?
 
Ich freue mich sehr über die Einladung, dieses Thema an der ASH vertreten zu dürfen! Damit betritt die Berliner Hochschule Neuland. Zwar unterrichten international immer mehr Professor:innen achtsamkeitsbezogene Themen, aber den expliziten Schwerpunkt „Professionelle Selbstfürsorge“ setzt die ASH meines Wissens als erste. In meinen Lehrveranstaltungen dort möchte ich Studierende einladen, bewusst Aufmerksamkeit für ihre inneren Regungen zu kultivieren und wach zu sein für das, was sich dort zeigt. Ich möchte sie ermutigen, sich ihrem Inneren und einander freundlich zuwenden. Für diese „innere Alphabetisierung“ gibt es in unserer stark rationalistisch geprägte Bildung bisher kaum Angebote.
 
Wo liegt der Bedarf dafür?

Ich möchte vermitteln, wie aus dieser inneren Literalität eine fürsorgliche Alltagsgestaltung erwächst und sich der Organismus aus Körper, Geist und Seele im Alltag immer wieder generieren kann, weil er sich spürt und reguliert. Das Wunderbare daran ist, dass Menschen dabei oft ihren Wesenskern kennenlernen, was sehr erfüllend und beglückend sein kann.
 
Das klingt nicht nach einer klassischen Vorlesung im Hörsaal. Welches Setting wird die Studierenden erwarten?
 
Mein Unterrichtsansatz ist verkörperungsbasiert, d.h. wissenschaftliche Lektüre und Theorievermittlung kombiniere ich immer mit konkreten Erfahrungen, vertrauensvollem Austausch und vertiefter Übungspraxis. Wir werden achtsame Körperarbeit, Stille, erfahrungsbasiertes Sprechen und bewusste Gruppenprozessgestaltung verbinden und Umsetzungsexperimente zur bewusst selbstfürsorglichen Alltagsgestaltung einbeziehen. Dabei ist mein Ziel, die Studierenden für eine menschen- und naturgemäße, nachhaltige und regenerative Lebensführung zu begeistern, die ihnen ermöglicht, gesellschaftsgestaltend wirksam zu sein und dabei gesund, mitfühlend und kreativ zu bleiben. Wenn dann noch Gelegenheiten zum Dankbarsein und Staunen entstehen, ist der Strauß an Themen komplett.
 
Was waren bisher Ihre wichtigsten beruflichen Stationen?
 
Seit dem Jahr 2000 habe ich als Bildungs- und Gesundheitswissenschaftler an der damals neuen Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Ev. Kliniken Essen-Mitte achtsamkeitsbasierte Gesundheitsschulungen für Patient:innen und mind-body medizinische Weiterbildungen für Kolleg:innen mit aufgebaut. 1998 gehörte ich zu den ersten Europäern, die bei Jon Kabat-Zinn an der University of Massachusetts das MBSR-Programm erlernt haben. In Deutschland habe ich dann am Institut für Achtsamkeit mit Linda Lehrhaupt, Karin Krudup u.a. europaweit an die 3.000 MBSR-Lehrende mit ausgebildet und bin heute Ansprechpartner der überregionalen Kooperationsplattform Achtsame Hochschulen. Hier ist die ASH als eine der ersten deutschen Hochschulen bereits seit 10 Jahren aktiv.
 
 
Warum sollte achtsame Selbstfürsorge zur Ausbildung von Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen gehören?
 
In der Essener Klinik konnte ich gemeinsam mit großartigen Kolleg:innen ein achtsamkeitsbasiertes Konzept der selbstfürsorglichen Gesundheitsbildung für chronisch erkrankte Menschen entwickeln. Unter diesen Patient:innen waren und sind viele Menschen, die in sozialen, Gesundheits- und Bildungs-Berufen arbeiten. Immer wieder habe ich nach der zwölfwöchigen Begleitung in der Klinik von ihnen die Frage gehört, warum die dort erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht schon viel früher unterrichtet werden, bevor Menschen ernsthaft erkranken. Die neue Professur macht das jetzt bereits innerhalb des Studiums möglich. Das ist Naturschutz nach innen, finde ich! Ich hoffe, damit die Basis auch für eine nachhaltige und regenerative Gesellschaftsgestaltung zu stärken, um dann gemeinsam auch die oft schwierigen Arbeitsbedingungen in diesen Berufen zu ändern - vom Innen zum Außen.
 
Welche Forschungsprojekte planen Sie?
 
Meine Forschungsprojekte in Kitas, Schulen und Hochschulen beschäftigten sich mit der Umgestaltung von Arbeits- und Leitungskulturen, die Ressourcen verbrauchen, hin zu solchen Verhaltensweisen, die fürsorglich, nachhaltig, regenerativ und freudvoll wirken. Ganz im Sinne der Inner Development Goals möchte ich verstehen, wie die Themen, die im Außen Natur- und Klimaschutz fördern, auch nach innen, im Menschsein und in der Gestaltung der professionellen Beziehungen zwischen den Menschen wirksam werden. Konkret möchte ich in Berlin schauen, ob es Interesse gibt an der bewussten Kultivierung von Lehr-Lern-Praktiken, die außer den inneren Gesundheitsressourcen auch herzliche, diversitätsoffene, traumasensitive und machtkritische professionelle Beziehungen in partizipativ-co-kreativen, demokratiefördernden Bildungsorganisationen stärken. Dazu arbeite ich aktuell in einem NRW-Landesmodellprojekt.
 
Haben Sie einen ganz konkreten Impuls für die Studierenden und Kolleg:innen an den Hochschulen? Nach der Pandemie drängen sich wieder die Projekte und viele Menschen fühlen sich überlastet.
 
Vielleicht erst einmal seufzen! Die Schultern loslassen und mit einem langen Ausatem noch einmal seufzen, wenn Sie mögen. Dann gerne aufstehen, das Fenster öffnen, den Blick schweifen lassen und Ihrem Körper gestatten, sich zu strecken und so zu bewegen, wie es grad guttut. Geht das für Sie in die richtige Richtung? Dann lassen Sie uns damit weitermachen!
 
Was kann speziell für Studierende getan werden?
 
Zeit- und Spiel-Räume schaffen, Orte der Stille und Orte für einen auf die Sinne bezogenen, vertrauensvollen Dialogs mit sich selbst, mit Mitstudierenden und mit der Natur ermöglichen.
Naturnahes, sozial und regenerativ erzeugtes, vollwertiges Essen und Trinken anbieten. Lehrangebote, die alltagstaugliches Wissen und Können zur Selbstfürsorge vermitteln und Begleitung bei der nachhaltigen Integration in den eigenen Alltag geben. Zwei meiner Berliner Lehrveranstaltungen dazu waren innerhalb kurzer Zeit nach der Freischaltung mit 40 und 45 Teilnehmenden ausgebucht. Wenn das (auch) mit den Inhalten zu tun hat, freue ich mich und bin gespannt!
 
Demnächst erscheint auch ein Buch ...
 
Im Herbst erscheint bei Klett/Kallmeyer das Praxisbuch Resilienz stärken - gesund bleiben als Lehrkraft. Besser mit Herausforderungen umgehen durch Achtsamkeit und Selbstfürsorge, das Sabine Grimm und ich herausgeben. Im Kapitel "Achtsamkeit fördern, gemeinsam Resilienz stärken – Einladungen zur gesunden und demokratischen Schulgestaltung" erweitern Susanne Dannhorn und ich gemeinsam das bisher meist nur auf die Person bezogene Konzept von "Resilienz" um die Aspekte von Beziehung, Bildungs- und Führungskultur sowie um die ökologische und die politisch demokratiefördernde Dimension in der Bildung.
 
Vielen Dank für das Interview!
 

Zur ASH-Webseite von Prof. Dr. Nils Altner