Gut vernetzt: MBSR-Regionalgruppen

15.09.2020

Ursula Stein, München, und Thomas Bormuth sprechen im Interview über die Regionalgruppenarbeit des Verbandes.

19 Regionalgruppen von Achtsamkeitslehrenden gibt es im MBSR-MBCT Verband momentan. Ursula Stein, seit 1991 in der psychosozialen Beratung verschiedener Sozialverbände in München tätig, als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, als Palliative-Care-Fachkraft und freiberuflich als Coach und Trainerin, engagiert sich seit 2010 in der Vernetzung der Münchner MBSR-Lehrenden. Thomas Bormuth, Projektmanager und Coach, wurde im November 2019 in den Verbandsvorstand gewählt. Er möchte die Regionalgruppenarbeit noch weiter stärken und hat im vergangenen und kommenden Halbjahr viele Termine mit den Runden aus München bis Hamburg in seinem Kalender stehen.

Nach Ihren ersten intensiveren Kontakten: Was macht die Regionalgruppen aus?

TB: Mein bisheriger Eindruck ist, dass vor allem der Austausch innerhalb der Gruppen geschätzt wird. Der Schwerpunkt variiert, mal liegt er auf Dingen, die mit den Kursen zu tun haben, manchmal auf aktuellen Fragen aus der Region. Andere beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Themen, die im Zusammenhang mit Achtsamkeit stehen. Dieser Austausch kann in eine Zusammenarbeit bei einzelnen Projekten bis hin zu gemeinsamen Angeboten münden. Außerdem wird zusammen praktiziert und auch mal was Neues ausprobiert. Gerade in der aktuellen Situation mit Corona scheint der Austausch besonders hilfreich zu sein.

Frau Stein, warum engagieren Sie sich in ihrer Stadt für einen regionalen Zusammenschluss von Achtsamkeitslehrenden?

US: Meine tiefe Überzeugung ist, dass Vernetzung und Zusammenarbeit uns weiter bringen als Konkurrenzdenken. Natürlich stehen wir als freiberufliche MBSR-Lehrer*innen im Wettbewerb um Kunden, da will ich gar nichts schönreden. Doch wenn wir gemeinsam dafür sorgen, den hohen Standard der MBSR-Kurse in München und Umgebung zu halten, wenn wir im Austausch auf neue gesellschaftliche Entwicklungen gemeinsam nach achtsamkeitsorientierten Antworten suchen, dann wird MBSR seine Qualität und Aktualität auf lange Sicht halten und sogar steigern können. Das wiederum sorgt für neue Kunden. So können wir, trotz Wettbewerb, gemeinsam füreinander sorgen. Wenn ich an meine Kolleg*innen denke, kenne ich niemanden, der Achtsamkeitskurse als reine Erwerbstätigkeit ansieht. Was uns alle anspricht, ist die Sinnhaftigkeit von MBSR: das Potenzial, einen Kulturwandel im Umgang mit sich selbst und mit Herausforderungen im Leben einzuleiten. Es liegt auf der Hand, dass wir dieses Projekt gemeinsam sehr viel weiterbringen können, als das Jede und Jeder für sich alleine könnte. Dieser Gedanke und meine bisher so positiven Kooperationserfahrungen, treiben mich an.

Seit wann gibt es Ihre Gruppe eigentlich schon, wie kam sie zusammen?

US: Die Münchner Gruppe gibt es bereits seit 2010. In den ersten Jahren, als es nur eine kleine, überschaubare Zahl an MBSR-Lehrenden in München gab, trafen wir uns zu dritt und tauschten uns aus. 2011 beteiligten wir uns mit einem gemeinsamen MBSR/MBCT-Stand an der „Woche der Seelischen Gesundheit“ des Münchner Bündnisses gegen Depression. In den darauffolgenden Jahren wuchs und veränderte sich die MBSR-Lehrer-Gruppe, die ihren Einzugsbereich bis ca. 60 km über München hinaus hat.

Wie viele Menschen sind dabei? Was treibt die Münchner um, was sind Ihre Themen?

Aktuell gehören 36 Kolleg*innen dazu. Die Gruppe ist aber für alle Interessierten offen. Wir treffen uns ca. 4-5 mal pro Jahr. Meistens sind 10-12 Kolleg*innen anwesend. Es geht uns um Vernetzung, darum, uns kennenzulernen, Kollegen zu finden, mit denen wir gemeinsam Projekte angehen oder Schwerpunkte bearbeiten möchte, z.B. das Bilden einer Intervisionsgruppe oder Austausch in kleineren Interessensgruppen zu Themen wie: Achtsamkeit und Unternehmen/ Achtsamkeit und Kinder / Achtsamkeit und Gesundheit/ Achtsamkeit und Natur/ Achtsamkeit und Gesellschaft. Seit Beginn des Jahres hat sich beispielsweise eine kleine Gruppe von MBSR-Lehrenden zusammengefunden, die sich darin üben, einen MBSR-Kurs in englischer Sprache abzuhalten. Immer mehr Firmen in München fragen diese Kompetenz an. Wir alle wissen, wie wichtig eine differenzierte Sprache zur Vermittlung der Kursinhalte ist. Sie will geübt sein, gerade wenn es um eine Fremdsprache geht. Das tun die Kolleg*innen miteinander.

Die große Vernetzungsrunde ist jedoch nicht nur ein Kollegenpool für Projektarbeit. Im Vordergrund steht der Erfahrungsaustausch. In den Treffen werden Herausforderungen thematisiert, vor denen wir als MBSR-Lehrer*innen stehen, Unsicherheiten im Umgang mit manchen Teilnehmenden, gute Erfahrungen mit neuen Übungen etc.. Zentrales Thema der letzten Monate waren z.B. der Umgang mit Corona, die konkrete Umsetzung der Hygieneregelungen, aber auch die Online-Kurse als neues Format.

Darüber hinaus arbeiten sich derzeit einige von uns gemeinsam in das neue Online-Forum des Verbandes ein, wollen es mit Leben füllen. Gerade hier kommt uns die Vernetzung sehr zugute.

 Wie kann der Verband die Regionalgruppen unterstützen?

TB: Das ist eine sehr gute Frage. Genau das herauszufinden, ist gerade der Schwerpunkt meiner Arbeit. Als Verband wollen wir uns möglichst wenig in die Ausgestaltung der Regionalgruppen einmischen, um so Vielfalt und Kreativität in den Runden nicht zu behindern. Wir geben gerne Impulse und möchten die Gruppen in die Verbandsarbeit und die Qualitätssicherung von MBSR einbinden, wo das möglich ist. Aber aus der Vielfalt entsteht auch unterschiedlicher Unterstützungsbedarf. Wir haben zum Beispiel das Online-Forum (https://forum.intern-mbsr-verband.de/) zur Zusammenarbeit und Kommunikation etabliert. Auch dort gilt: immer im Austausch bleiben. Das ist das Wichtigste.

Was hat sich dabei bewährt und was würden Sie sich noch wünschen?

US: Bewährt hat sich der persönliche Kontakt zu Thomas als Mitglied des Vorstands. Er macht den Verband nahbarer. So wird der Verband von einer übergeordneten Instanz zu dem, was er tatsächlich ist: zu einem Förderer und Begleiter unserer Kursarbeit. Die Kommunikationswege wurden kürzer, die Hemmschwelle, sich auf Verbandsebene einzubringen, geringer. Der persönliche Kontakt fördert das Engagement! Hätte Thomas sich nicht für uns als Gruppe interessiert, hätte ich mich bisher vermutlich nicht so intensiv mit dem Forum auseinandergesetzt. Ohne persönlichen Kontakt wäre alles viel abstrakter.

Wünschen würde ich mir, dass wir als Gruppe in einem engen Austausch mit dem Verband bleiben. Der regelmäßige Newsletter des Verbands ist wichtig und hilfreich! Aber er ersetzt den persönlichen Kontakt nicht. Auch ein, zwei Gespräche auf der Konferenz führen wohl in den wenigsten Fällen zu einer nachhaltigen persönlichen Bindung. Kontakte wollen gepflegt werden! Und da sehe ich nicht nur den Verband in der Pflicht, sondern auch uns Gruppen. Aber wenn der Verband auf die Gruppen zugeht, fördert das Zugehörigkeitsgefühl! Gerade weil wir wissen, dass der Vorstand ehrenamtlich arbeitet, seine Zeit kostbar und begrenzt ist, wirkt ein freundliches Entgegenkommen einladend und ermutigend, ihn auch mal anzufragen. 

Wieviel Regionalgruppen gibt es eigentlich momentan und wo gibt es noch „blinde Flecken“ auf der Landkarte?

TB: Aktuell sind 19 Regionalgruppen gelistet. Die Zahl an Mitgliedern und die Intensivität der Zusammenarbeit ist ganz unterschiedlich. Allerdings weiß ich auch von Gruppen, die wir offiziell noch gar nicht führen. Gerade im Norden und im Süden Deutschlands gibt es schon viele Zusammenschlüsse, aber Raum für neue gibt es noch überall! Eine Übersicht findet man übrigens im Mitgliederbereich der Verbandswebseite.

Was sollten Achtsamkeitslehrende tun, wenn sie eine Regionalgruppe des Verbandes in ihrer Stadt oder Region gründen möchten?

TB: Es gibt keine fest vorgegebene Prozedur. Ein Mitglied kann sich einfach mit anderen Mitgliedern zusammentun und mir oder der Geschäftsstelle eine Mail schreiben. Dann nehmen wir die Gruppe in die Kommunikation mit auf. Es geht aber auch andersherum: Wer eine Gruppe gründen möchte, kann sich an mich oder an das Verbands-Büro wenden und wir unterstützen die Gruppe mit z.B. einem Aufruf an die Mitglieder in der Umgebung sich anzuschließen.

 Was wäre ihr Tipp für Gruppen, die sich neu zusammenfinden?

US: Seid angstfrei! Geht auf eure Kolleg*innen zu! Nicht alle haben Interesse an einer Zusammenarbeit oder die nötige Zeit dafür, doch viele freuen sich über eine Kontaktaufnahme und machen gerne mit. Es ist auch hilfreich, sich in der Anfangszeit öfters zu treffen, damit man sich wirklich kennenlernt und warm wird miteinander. Sich nur 1-2mal im Jahr zu sehen, ist gerade für die Anfangsphase zu wenig. Wenn ihr noch keinen Plan habt, was der Inhalt eines Treffens sein könnte, achtet auf eure Bedürfnisse, sprecht sie aus und vertraut dem Entstehen!

Gibt es etwas, das Sie gern noch berichten, ansprechen möchten?

US: Eine kollegiale Gruppe ist eine gute Möglichkeit, die Werte, die wir unterrichten, im Miteinander bewusst umzusetzen, die innere Haltung, die dahintersteht, zu üben und zu reflektieren. Ich denke dabei an achtsame Kommunikation, an Nicht-Bewerten, Akzeptanz, Vertrauen, Loslassen, Sich-Einlassen etc. etc.. So eine Gruppe ist ein weites Übungsfeld – es wäre schade, dies nicht zur persönlichen Weiterentwicklung zu nutzen!

Und: Was für unsere Kurse gilt, gilt auch für MBSR-Lehrer Gruppen: 1-2 Teilnehmer*innen, die offen und angstfrei über ihr Erleben und ihre Erfahrungen sprechen können, ermutigen durch ihr Verhalten die anderen Teilnehmer*innen zu mehr Offenheit. Probiert es aus! Oder, wenn das nicht geht, sprecht zumindest darüber. Das Schöne ist, dass wir durch unseren gemeinsamen Achtsamkeitshintergrund nur wenige Worte brauchen, um zu verstehen, wovon wir sprechen und worum es uns geht.

TB: Das sehe ich genauso. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Herausforderungen, denen wir als Menschheit gegenüberstehen und mit denen unsere Gesellschaft zukünftig umgehen muss, eine achtsame Haltung notwendig machen. MBSR ist für mich das geeignetste Training dafür. Und der offene und wertschätzende Austausch in den Regionalgruppen kann einen wesentlichen Teil beitragen.

Vielen Dank!